Beuys – A Close Up
Direkte Wege führen auch zum Ziel, zuweilen jedenfalls. Häufig führen sie geradewegs am Ziel vorbei. Um- und krumme Wege haben unverhoffte Vorteile. Sie führen zuverlässig in das Ziel, wenn man dies zwar aus den Augen, nicht aber aus dem Sinn verliert. Geht man einen langen Weg, dann kann man unterwegs in Ruhe nachdenken. Die vermeintlichen Irrwege bringen unerwartete Eindrücke und Begegnungen mit sich. Genau das nennt man serendipity.
Mein Umweg nach Düsseldorf führte mich über den Bakkehøjgard auf Møn sowie Tranum Strand, wo ich alljährlich zwei Monate am Meer verbrachte – oft mit Henning und Ursula Christiansen. Bei Øl und Linie Akvavit sprachen wir dort häufig und ausführlich über Beuys. Mit ihm waren Christiansens gut befreundet: Sie arbeiteten gelegentlich zusammen. Wir machten uns klar, dass das singuläre Phänomen Beuys für die Überlieferung eingehender als bisher dokumentiert werden müsse. Ich hatte da schon länger etwas ähnliches im Sinn. Von dem bereits zu Lebzeiten enigmatischen Beuys sollte möglichst viel bewahrt werden. Nach seinem Tod würde er erst recht ein Geheimnis sein und noch mehr zu rätseln geben.
Henning und Ursula schlugen vor, sie nach Düsseldorf zu Beuys zu begleiten, und einen Versuch zu unternehmen. Bei meinen ersten Besuchen bei Beuys hatte ich keine Kamera dabei. Da ich nicht auf etwas genau Definiertes aus war, begann ich erst geraume Zeit später, absichtslos hier und da etwas aufzunehmen, dies aber ohne weiteres zu lassen, wenn ich mir aufdringlich vorkam. Die Beiläufigkeit erwies sich als bestgeeigneter approach.
Beuys lud mich nach einer Weile von sich aus ein, ihn hier und dorthin zu begleiten. Ihm war vermutlich klar, was Henning, Ursula und ich vorhatten. Die à la sauvette entstehenden Bilder waren nicht für die baldige Veröffentlichung gedacht, sondern für die Nachwelt und allenfalls für Beuys‘ eigene Zwecke. Einige verwendete er für ARENA sowie für ENTERPRISE. Sie zeigen einen anderen als den öffentlich bekannten Beuys.[…]
Mein Arbeitsziel war die Erkundung des eigentlichen Zeitgenossen hinter dem allzu bekannten, erschöpfend publizierten Beuys. Nicht, ihn zu heroisieren. Ich war nicht an einem Heiligenbild, sondern an einer möglichst ausführlichen Betrachtung interessiert. Entgegen aller Absicht ist dieses Projekt ein Fragment geblieben. Ein gravierendes Ereignis machte damals alle Planungen zunichte. […]
MR in Serendipity, Beuys bleibt, November 2020
Bilder aus dem Buch:
Beuys bleibt
Beuys – A Close Up
éditions facteur cheval
erschienen Januar 2021
92 Seiten, Hardcover, 33,00 €.
Das Buch ist vergriffen und kann nicht mehr bezogen werden.