Stätten und Landschaften
„Goethe starb vier Jahre bevor das Zeitalter der Photographie begann. Es gibt keine photographische Aufnahme seiner Gesichtszüge. Was einer Photographie am nächsten kommt, ist die Weißersche Lebendmaske vom 13. Oktober 1807. Die Photographie war Goethe kein Begriff. Er hat das Wort meines Wissens nicht benutzt. Die Photographie als technische Möglichkeit hat ihn nicht beschäftigt. Der Abstand von ihm zu uns, die wir mit der Photographie leben, ist ungeheuer groß. Im Nachwort zu diesem Buch, das die Augenwelt des Dichters mit den Mitteln der Photographie reproduziert, soll auch über die ungewöhnliche Verbindung Goethes mit diesem Medium Rechenschaft abgelegt werden. Darum möchte ich hier Geschichte und Konzeption des Buches erklären – und sagen, was es ist und was es nicht sein kann.
Die Idee entstand während eines Besuches in Weimar, den Eckart Kleßmann und ich im September 1974 unternahmen.
Wir kannten die Bilder der Schauplätze von Goethes Leben. Sie zeigen diese in der Regel als Gedenkstätten und Altäre. Der Versuch, Goethes Reisen in Bildern darzustellen, ist früher schon gemacht worden. Die dazu benutzten Illustrationen von verschiedenen Autoren, Zeitgenossen Goethes und anderen, geben jedoch nicht die visuelle Welt eines Einzelnen wieder. Sie versuchen nicht, mit Goethes Augen zu sehen. Der Versuch, Goethes Augenwelt mit »subjektiver Kamera« zu zeigen, ist noch nicht unternommen worden. Dieses Buch ist der Versuch.“
Michael Ruetz im Nachwort
Das Buch ist in insgesamt vierjähriger, intensiver Arbeit und vielen Reisen entstanden. Es gliedert sich in fünf Bereiche:
- Frankfurt, Wetzlar, Straßburg
- Schweizer Reisen
- Italienische Reise
- Champagne, Rheinland, Böhmen
- Weimar
Abbildungen aus dem Buch:
Blick auf den Brocken von der Achtermannshöhe
Goethe hat den Brocken, mit 1142 Metern die höchste Erhebung des Harzes, dreimal bestiegen, zuerst am 10. Dezember 1777. »Nun, Liebste, tret ich vor die Türe hinaus, da liegt der Brocken im hohen herrlichen Mondschein über den Fichten vor mir, und ich war oben heut und habe auf dem Teufelsaltar meinem Gott den liebsten Dank geopfert«, schreibt er noch am selben Tag an Charlotte von Stein. Die Granitblöcke im Vordergrund bilden den Gipfel der Achtermannshöhe, auf der Goethe fünf Jahre später Gesteinsproben sammelte.
Häderlisbrücke bei Göschenen
» Eigentümlicher Charakter der Gegend; der Einblick hinaufwärts verkündet das Ungeheure. Um halb viere war die Sonne schon hinter dem Berge. Erster Wasserfall, zweiter schöner. Grünlich Gestein mit viel Glimmer, Granit; schöner Wasserfall, etwas Baumtrocknis. Herrlicher Blick auf die Reuß, an einer alten Fichte und einem Großen Felsen vorbei.»
Assisi und Minervatempel in Assis
Von Perugia kommend erreichte Goethe am 26. Oktober 1786 Assisi, voll hochgespannter Erwartungen, denn: »Aus Palladio und Volkmann wußte ich, daß ein köstlicher Tempel der Minerva, zu Zeiten Augusts gebaut, noch vollkommen erhalten dastehe.« Eingeschworen auf die Antike und die Klassik Palladios, fehlen dem siebenunddreißigjährigen Reisenden jeder Sinn für die Kunst des Mittelalters, ja sie stößt ihn ab: » Die ungeheueren Substruktionen der babylonisch übereinander getürmten Kirchen, wo der heilige Franziskus ruht, ließ ich links, mit Abneigung…«
Goethes Bibliothek,
neben seinem Arbeitszimmer gelegen, umfaßte bei seinem Tode 5424 Titel, die 1958 erstmals bibliographisch erfaßt wurden. Der früheste Katalog von 1788 umfaßte nur 317 Werke. […]
Wissenschaftliche Gebiete aller Disziplinen sind reichhaltig vertreten, dazu einige hundert Bücher, die Goethe von ihren Autoren dezidiert wurden. Für seine Arbeit war Goethe nicht auf die Privatbibliothek angewiesen; ihm standen natürlich alle Bibliotheken des Herzogtums, deren Leiter er war, zur Verfügung, und er machte von ihnen ausgiebig Gebrauch, wie die noch erhaltenen Leihscheine beweisen.
Weimar, Goethes Gartenhaus
Das Gartenhaus an der Ilm war ein Geschenk von Herzog Carl August. Mit dem Hausbesitz erwarb Goethe das Weimarer Bürgerrecht, und als sein erstes Weimarer Quartier bezog der Dichter das Gartenhaus am 21. April 1776. Vom 12. Mai bis 8. Juni 1827 hat er ein letztes Mal hier gewohnt und in dieser Zeit die Arbeit am zweiten Teil des »Faust« begonnen. Einem Besucher sagt er damals: „Wir haben hier in diesem Gartenhäuschen tüchtige Jahre verlebt; und weil es denn mit uns sich auch dem Abschlusse nähert, so mag sich die Schlange in den Schwanz beißen, damit es ende, wo es begonnen.“…..
Auf Goethes Spuren
Textauswahl und Kommentar von Eckart Kleßmann
Artemis Verlag, Zürich und München
210 Seiten, erschienen 1978